Bemerkenswerte Band, sehr schöne Lieder, aber eine
übervorsichtige Produktion
Eine Band, die ich noch gar nicht
so lange kenne, ist „AnnenMayKantereit“ – sie kommen aus Köln, und werden gerne
als „Deutschlands erfolgreichste unbekannte Band“ bezeichnet. Ich hab von der
Band nun schon öfters gehört und konnte mir lange Zeit nichts darunter
vorstellen, dank Liveberichten und YouTube-Videos wurde ich dann aber auf die
Jungs wirklich aufmerksam. Deutschsprachige Musik höre ich immer wieder gerne,
vor allem die von Jennifer Rostock, welche allerdings auch wieder anders als
diese hier ist. Ihr neues Album machte mich (als Jennifer Rostock-Fan) dann neugierig
auf ihre Musik und ihren Output. Die Musik ist im Gegensatz zu Jennifer Rostock
nicht bombastisch bzw. fett und vielleicht auch weniger rockig. Aber das machen
die vier Jungs mit eine großen Portion an Fingerspitzengefühl wieder wett.
Irgendeiner bezeichnete mal ihre Musik als „tanzbare Melancholie“ – das trifft
es aber auch nur zum Teil, wie ich finde. Auffällig ist die tiefe, raue,
markante Stimme von Sänger/Pianist Henning May. Man stellt sich zuerst irgend
so einen kräftigen Sänger mit Bart vor und entdeckt dann einen ganz normalen
Menschen. Sieht man dem Guten beim Singen zu, entdeckt man immer seine
angeschwollene Halsschlagader – sieht immer etwas gefährlich aus. Also lange
Rede und kurzer Sinn: Das Album landete dann eines Tages in meinem Briefkasten
und wurde ausgiebig gehört. Die Qualität der Songs bewegt sich irgendwo
zwischen gut und ausgezeichnet. Viele Lieder sind wirklich sehr gut! Die Themen
der Songs handeln von ganz alltäglichen Dingen wie Liebe, Trennung, Verlust und
Sehnsucht – und manchmal sind es gerade solche Songs die mir dann sehr gefallen
und unter die Haut gehen. Offenbar wurde von Henning May auch vieles
autobiographisch in den Songtexten verarbeitet.
Alleine schon der erste Song „Oft
gefragt“ ist ein gutes Bespiel dafür! Ich kann das Lied gar nicht oft genug
hören – Hennings Stimme und sein Klavierspiel würden mir auch völlig
ausreichen. Sofort war die Gänsehaut da! Solche Songs sind einfach ehrlich und
kommen vom Herzen. Interessanterweise ist der Text in „Oft gefragt“ laut
Aussagen von Sänger Henning May an seinem Vater adressiert. Allerdings passt
der wunderschöne Text auch als Liebeserklärung an die Mutter. „Pocahontas“ geht
vielleicht in eine ähnliche Richtung, ist allerdings rockiger und macht sogar
Spaß beim Zuhören. Aktueller Favorit ist übrigens das nachfolgende „Es geht mir
gut“, welches angenehm rockig daherkommt, und einen schmunzelnden Songtext
bietet. Der nächste Song „3. Stock“ geht dann wieder in eine ganz andere
Richtung. Auf einmal wird es romantisch-melancholisch, gar schwermütig bis
depressiv. Es ist eine Herzschmerz-Ballade – aber keineswegs eine flache
sondern zutiefst aufrichtige! Ich hab beim ersten Hören des Liedes sofort eine
Gänsehaut und feuchte Augen bekommen. Dieser Song geht unter die Haut – er
strotzt nur voller Sehnsucht und Melancholie. Jeder, der eine derartige Zeit
schon mal durch gelebt hat, wird von diesem Song auf tiefste berührt sein.
Solche Musik ist einfach Balsam für die Seele.
Mein persönliches Highlight ist
aber immer noch seit langem das berühmt berüchtigte „Barfuß am Klavier“. Dies
ist eines der besten auf Deutsch gesungen Lieder die ich in letzter Zeit kennen
lernen durfte. Der Text ist geradezu sehnsüchtig und herzerweichend („… Ich
träum dabei von Dir…“) – einfach ein fabelhaftes Liebeslied. Hinzu kommt noch
der schöne, wohlige Klang des Klaviers und fertig ist der Ohrwurm des Jahres! Ich
konnte den Song eine Zeit lang gar nicht oft genug hören. Auf Klavier spielen
kann ich das Lied auch – nur nicht so schön. Jetzt an dieser Stelle jeden
einzelnen Song durchzusprechen würde sicher den Rahmen sprengen – die Songs
sind bekannt und ihr kennt und liebt diese sowieso genau so wie ich. ;-) Mittlerweile
haben sich auch alle Songs in mein Gedächtnis eingebrannt und ich singe diese
laut und fehlerfrei mit – solche Musik muss einfach laut gehört werden und dazu
muss einfach laut mitgesungen werden. Selbst Songs wie „Neues Zimmer“ oder „Länger
bleiben“, die ich anfangs nicht so toll fand, sind inzwischen ganz angenehm. Anfangs
fand ich beispielsweise den Song „Das Krokodil“ schwach, gar nervig, er entwickelte
sich dann aber doch zu einem Ohrwurm der Spaß machte („Das Krokodil raucht zu
viel“ – lassen wir das…). Er soll auch live sehr gut rüberkommen.
Kommen wir jetzt aber zu meinem
großen Kritikpunkt: Der Produktion. Was war ich von der Abmischung des Albums
enttäuscht. Man hat hier viel zu übervorsichtig agiert, vieles einfach
weichgewaschen. Man könnte fast von
„Verschlimmbesserung“ sprechen, und genau so ist es! Besonders die raue und
markante Stimme von Henning May wurde hier schlichtweg
glattgebügelt, was mehr als Schade ist (wer die Band live gesehen hat und die
YouTube-Videos kennt, weiß wovon ich rede...). Außerdem wurden an einigen
Stellen kleine Änderungen vorgenommen. Das an sich großartige „Oft gefragt“ ist
plötzlich mehrere Sekunden länger, „Barfuß am Klavier“ hat einen leicht
veränderten Text und die Tonlagen sind meist andere. Vielleicht wollte
man damit die Songs auch ein Stück weit kommerzieller ausrichten – ich weiß es
nicht. Bitte versteht mich nicht falsch, AnnenMayKantereit sind eine tolle Band
mit viel Potenzial, aber wirklich zufrieden bin ich mit dem Album nicht. Es
repräsentiert nicht sonderlich die Energie und Spannung ihrer Live-Auftritte. Gut,
wohlmöglich bin ich auch zu anspruchsvoll. Daher gibt es von mir auch nur 3 von
5 Sternen – leider!
Die Songs an sich verdienen aber ohne zu zögern 5 von 5
Sternen. Jungs, macht bitte so weiter, bleibt Euch bitte treu und bleibt beim
Deutschrock! Ich sehe Euch dann nächstes Jahr auf Tour!!!
(Letzte Bearbeitung am 05.07.2016)
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